Kommende Woche starten die Jüdischen Kulturtage Berlin. Intendant Avi Toubiana über jüdische Mütter, Kunst als Ventil und die Vorzüge kultureller Aneignung.
Herr Toubiana, Ihre berufliche Laufbahn ist beeindruckend: Sie haben eine Ausbildung zum KFZ-Mechaniker gemacht, waren Caterer, Comedian, arbeiteten für den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses. Welche Erfahrung kommt Ihnen beim Job als Festivalleiter am meisten entgegen?
Avi Toubina: Ich habe auf Wunsch meiner Mutter den KFZ-Meister gemacht. Tatsächlich ist das enorm hilfreich, weil man dort Arbeitsabläufe lernt. Man kann nicht Öl ablassen, und gleichzeitig neues nachfüllen. Alles braucht Struktur, Prioritäten. Sonst lässt man das Auto zehnfach rauf und runterfahren, was ich damals natürlich getan habe, bis mich mein damaliger Meister stoppte. Aber auch die Zeit als Künstler war wichtig, denn man versteht, mit Menschen umzugehen.
Wie wichtig sind die Kulturtage als Präsentationsfläche für jüdische Kultur in Deutschland?
Es war eine große Herausforderung. Viele Leute denken bei jüdischer Kultur ausschließlich an Klezmer-Musik. Davon wollte ich weg, ich möchte Vielfalt aufzeigen, und habe schon im ersten Jahr auf Comedy gesetzt. Es ist sehr schwer jüdische Comedians aus Deutschland zu finden – aus bekannten Gründen.
Das erinnert an den berühmtem Satz des verstorbenen Hollywoodschauspielers Robin Williams…
Wie lautete der?
Er war in einer Talkshow gefragt worden, warum der deutsche Humor so schlecht beleumundet sei. Daraufhin meinte er: Das könnte daran liegen, dass die Deutschen alle lustigen Menschen ermordet haben?
Tja. Da könnte was dran sein.
Viele der zurzeit größten deutschen Stars unterschiedlicher Genres sind jüdisch: Daniel Donskoy, Igor Levit, Daniel Barenboim, Daniel Levy, Kirill Petrenko, Oliver Polak, um nur einige zu nennen…
Es hat sich was getan, aber natürlich sind wir vergleichsweise immer noch wenige. Wir setzen stark auf internationale Künstler und Künstlerinnen, was auch damit zu tun hat, dass wir ausschließlich Premieren zeigen. Jedes Programm, das sie sehen werden, ist eine Eigenproduktion.
Bis 1933 war Berlin eine internationale Modestadt, und damals jüdisch geprägt"
Sie präsentieren neben Musik, Film, Tanz, auch israelisches Street Food und erstmals Mode-Schauen jüdischer Designer. Gibt es eine konkret jüdische Mode-Tradition?
Was für eine Frage? Meine Prämisse war, ein möglichst breites Spektrum abzubilden, ein Kaleidoskop. Deshalb auch jüdische Kulinarik, wo sich die vielen kulturellen Einflüsse am besten abbilden. Mein Großvater kam aus Schlesien und hat Deutschland 1938 einen Tag vor der Reichspogromnacht verlassen, er floh nach Eretz Israel. Der Orient, auf den er damals gestoßen ist, war ein Schock. Er traf auf tunesische und marokkanische Juden, die von dort ihre kulturellen Einflüsse mitgebracht hatten. Schtreimel, die traditionelle Kopfbedeckung religiöser Juden, hat es natürlich nicht gegeben, als die Römer die Juden vor fast 2000 Jahren vertrieben haben, diese kamen wiederum aus Polen und sind nur heute nur noch bei den Juden überliefert. Bis 1933 war Berlin eine internationale Modestadt, nicht weniger wichtig, als Mailand oder Paris, und damals jüdisch geprägt. Daran schließen wir jetzt an.
Sie beschreiben jüdische Kultur also als eine Art Black Box internationaler Einflüsse?
Juden haben diese große Tradition des internationalen Handels, die bis heute funktioniert. Das, was heute für die ganze Welt normal scheint, nämlich international vernetzt zu sein, pflegen wir seit Jahrhunderten. Derjenige der reist, hat mehr Weitblick. Der harte Schicksalsschlag der Vertreibung, hat unsere Kultur in jeder Hinsicht beflügelt.
Wie bewerten Sie es, dass kulturelle Aneignung heute als negativer Begriff gilt?
Kulturelle Aneignung, Vermischung, Adaption – das ist etwas Großartiges. Der Modedesigner Doron Ashkenazi hat in Florenz studiert, lebt in Tel Aviv, seine Vorfahren sind russisch und türkisch, seine Stoffe hat er aus der Türkei. Ich glaube, dass es vor allem darum geht, mit den Kulturgütern anderer respektvoll umzugehen.
Wie groß würden Sie den Einfluss der Religion auf die jüdische Kultur beschreiben?
In einem wichtigen Punkt: Das Judentum lehrt alles zu hinterfragen, sogar Gott. Diese Chuzpe prägt den Charakter. Dieser besondere Blickwinkel prägt alles Jüdische, auch bei Nicht-Religiösen. Ich habe die ukrainische Modekünstlerin Lubov Malikova danach befragt, die nicht religiös ist. Sie sagte mir, sie sei halb ukrainisch, halbe Kosakin, aber die Tradition, in der sie aufgewachsen ist, unterscheidet sie. Nämlich durch diesen besonderen Blickwinkel. Und wir haben noch etwas, das uns unterscheidet?
Und zwar?
Die jüdischen Mütter. Deshalb gibt es so viele jüdische Comedians, wir müssen auf die Bühne, weil wir uns nicht so viele Therapiestunden leisten können, wie wir nötig hätten. Ich habe einen Witz: Unterhalten sich drei jüdische Mütter. Sagt die erste, mein Sohn ist der beste, er bringt mir einmal die Woche Blumen. Sagt die zweite, meiner ist besser, er ruft mich einmal die Woche 20 Minuten an. Sagt die dritte, das ist noch gar nichts, meiner redet täglich acht Stunden mit seinem Therapeuten über mich.
Mit einem Werk Arnold Schönbergs setzen Sie auch einen Schwerpunkt mit Klassischer Musik. Wie würden Sie den jüdischen Aspekt in der Klassik beschreiben?
Es gibt besonders viele jüdische Violinisten, und ich glaube das hat damit zu tun, dass die vielen Katastrophen, die wir erleiden mussten, in der Geige ein besonders geeignetes Ventil gefunden haben. Gleiches gilt für die Comedy.
Zurzeit wird viel darüber diskutiert, ob nicht-jüdische Schauspieler wie Helen Mirren oder Bradley Cooper, jüdische Persönlichkeiten darstellen sollen. Wie sehen Sie das?
Das sehe ich nicht. Natürlich kann Frau Mirren die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir spielen, und Herr Cooper den großen Dirigenten und Komponisten Leonard Bernstein. Es müssen gute Schauspieler sein, das ist wesentlich. Die Aufregung um die angeklebte Nase sehe ich auch weniger tragisch. Das würde ich mit Humor nehmen. Genau diese Vorurteile und Klisches gehen wir innerhalb der jüdischen Kreise mit Humor entgegen und ertragen diese mit Selbstironie.
Haben Sie ein Beispiel?
Was passiert einem Juden, der mit einer Erektion gegen eine Wand läuft? Er bricht sich die Nase.
Berlin ist in den vergangenen Jahren ein Sehnsuchtsort für junge Menschen aus Israel geworden, an die 30.000 leben angeblich in der deutschen Hauptstadt. Hat das einen Einfluss auf die Kulturtage?
Natürlich sprechen wir auch diese Leute an. Es gibt eine jüdische Normalität, die ich vor 20 Jahren, als ich nach Berlin gezogen bin, nicht kannte. Das ist großartig. Damals kannte kein Mensch Hummus, oder dachte das sei Blumenerde. Antisemitismus entsteht vornehmlich dort, wo man keine Juden kennt. Meine Frau will nur in Berlin leben, sie ist Israelin, und nur hier wird sie nicht krumm angeschaut. Das ist im Rest von Deutschland leider nicht immer so. Menschen mit Akzent werden oft als dumm angesehen, auch wenn sie fünf Sprachen sprechen.
Mit Aviv Geffen haben Sie einen israelische Rocklegende im Programm, die zur Trauerfeier von Itzhak Rabin gesungen hat. Versteht das Berliner Publikum, welche Größen Sie da auffahren?
Ich bin mit seiner Musik aufgewachsen, das ist eine besondere Ehre, dass er spielt, und ich empfinde es als großes Privileg. Aviv Geffen ist mit Nena befreundet, und fragte mich: Ist Nena eigentlich in Deutschland bekannt? Aber ich glaube Herr Aviv hat sich da einen Scherz erlaubt.
Zum Programm der Jüdischen Kulturtage
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- Robin Williams
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- Igor Levit
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- Schlesien
Author: Robert Mckenzie
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